Hellbound: Hellraiser II (1988) (WA) (2024)

Die Zeiten, in denen Stephen King in Clive Barker die Zukunft des Horrors gesehen haben will, sind auch schon wieder eine ganze Weile her. Längst weht der Weltgeist des Genres andernorts, Barker streift es nur mehr sehr gelegentlich und beschäftigt sich lieber mit dem Malen knallbunter Bilder, zumal die Gesundheit des heute 65-Jährigen offenbar angeschlagen ist.

Doch in den 1980ern und zum Teil noch in den 1990ern kam, wer sich für Horror interessierte, an den manisch düsteren, sexuell aufgeladenen Werken des Briten nicht vorbei: “Splatterpunk” hieß diese Welle für eine Weile und Clive Barker war die Gallionsfigur. Im Zyklus seiner Bücher des Blutes, in Filmen wie Hellraiser, Cabal – Die Brut der Nacht und Lord of Illusions lockten unerhörte Begebenheiten.

Wenn der Horrorfilm in seiner Gothic-Tradition von der allegorischen Wiederkehr verdrängter Begierden handelte und er in seiner Modernisierung seit den 1960ern den Körper selbst in fortlaufender Fragmentierung zur Disposition stellte, dann versöhnte Barker beide Linien des Genres miteinander und haute dem Genre seinen sexuellen Subtext mit Karacho um die Ohren: Queer Horror im Wortsinn – nicht als progressives Mitmach-Projekt für unangepasste Leute, sondern seltsam, eigenartig, verdächtig, gefährlich. Die “Zenobiten”, wie sich in den Hellraiser-Filmen die dämonischen Mönche aus der Dimension der Hölle nennen, sind Evangelisten des Schmerzes, Pop-Stars der Body-Modification und Verkünder einer sado-masoch*stischen Lehre jenseits konsensueller Einwilligung: “Dämonen für Manche, Engel für Andere”, heißt es in der Tragödie erster Teil.

Die filmische Adaption seiner Novelle The Hellbound Heart besorgte Barker noch eigenhändig und schenkte dem Genre mit der Figur des (im Film selbst so nicht bezeichneten) “Pinhead” (Doug Bradley), dessen Schädel von einem Nadel-Koordinatensystem versehen ist, eine seiner markantesten Ikonen. Zum Sequel nun steuerte Barker immerhin noch die Grundzüge der Geschichte bei, sodass sein Geist dem Film noch sichtlich abzuspüren ist: Nachdem es Kirsty Cotton (Ashley Laurence) im vorangegangen Film gelungen war, die Zenobiten wieder in ihre Dimension zurückzudrängen, findet sie sich schwer traumatisiert in einer von Dr. Philip Channards (Kenneth Cranham) psychiatrischen Einrichtung wieder. Der für allerlei Gehirnschabernack stets zu begeisternde, ziemlich “faust”-ische Forscher hat ein lebhaftes Interesse an Kirstys Erzählungen von Folter-Dämonen, die, nachdem man eine Art antiken Rubik’s Cube gelöst hat, aus fernen Dimensionen an unsere heran- und aus der Wand heraustreten, um den erfolgreichen Rätsellöser zur Belohnung in ihre Dimension zu entführen, wo ihm der Nektar ewiger Pein in großen Karaffen gereicht wird.

Dem Forscher gelingt der mephistophelische Pakt mit dem Jenseits: Er öffnet das Tor zur Hölle erneut – gemeinsam mit der Patientin Tiffany (Imogen Boorman) macht sich auch Kirsty auf in die Hölle, wo sie ihren seit Teil 1 vermissten Vater schmoren wähnt. Pinhead und Co. reiben sich vergnügt die Hände: Neues Fleisch zum Ausprobieren, neue Seelen zum Grillen …

Dem Horror zugeneigte Mitmenschen mittleren Alters erinnern sich vielleicht noch an eine alte TV-Ausstrahlung des Films in der Spätschiene irgendeines Privatsenders in den frühen 1990ern. Wegen Jugendschutz-Buhei wurde er damals auf eine Weise sinnentstellend zu einem Rumpf gekürzt, dass der Nachvollzug mancher Passage mitunter schwer fiel: Die Klärung der Frage, warum der dubiose Psychiater etwa mit einem Mal als schlumpfblau angelaufene, mit Schneidedrähten zerspickerte Madenversion seiner selbst und mit einem gewaltigen Wurmfortsatz am Schädel durch den Film geisterte, blieb dem Ideenreichtum des irritierten Publiku*ms überlassen, das sich angesichts dieser abenteuerlichen Transformation um zünftige Schauwerte betrogen fühlen durfte.

Die gute Nachricht: Zu begutachten gibt es diese Schauwerte nun endlich in der ungeschnittenen Version, die der genossenschaftliche Filmverleih Drop Out wieder in die Kinos bringt. Die schlechte: Zum Glanzpunkt in der hohen Kunst plausiblen Erzählens reift Hellbound — Hellraiser 2 auch in dieser Darreichung nicht heran. Heute mehr als damals, als selbst die zerstückelte Rumpf-Version des Stückel-Films unter VHS-Provinzkindern meines Schlags als Trophäe galt, mag sich vielleicht auch der eine oder andere dramaturgische Leerlauf insbesondere im ersten Drittel des Films bemerkbar machen.

Dafür dreht der Film dann irgendwann schön frei. Warum der Film unter jungen Leuten, die den Problemstellungen ihres Lebens noch nicht ganz gewachsen waren, mal als richtig geiles, hartes Brett gegolten hat, wird sich heutigen jungen Leuten, deren Seelenlagen ihrerseits kaum weniger belastet sein dürften, zwar kaum mehr vermitteln. Doch der Budenzauber zwischen Escher’schem Pop-Surrealismus, Hieronymus-Busch-Vulgarisierung, Sado-Punk und Goethe’schem Großdrama ist sehr ansehnlich, sobald sich der Schauplatz des Geschehens erstmal ins Innere einer Krankenhauswand bzw. in die Höllendimension verlegt.

Was früher – wohl auch wegen grieseliger VHS-Aufnahmen – derb schockierte, steht heute in HD rein effektetechnisch im Spektrum der Möglichkeiten eher in der Nähe zur Geisterbahn und tritt in seiner Gemachtheit von Latex-Hirn bis Pappmaché-Burgmauer deutlicher zutage. Im Zusammenspiel mit dem theatralisch aufspielenden orchestralen Soundtrack (Christopher Young) und manch gravitätischer Sentenz (“Zu denken, dass ich zögerte!”) ergibt dies angenehme Reibeflächen, an denen sich Camp und Hochkultur sandig aneinander schmiegen.

Überhaupt ist die manchmal etwas kahl bestückte Studiokulissigkeit des selten an die frische Luft kommenden Films mitunter ein Spektakel eigenen Rangs. Wenn phantastische Filme sich dadurch kennzeichnen, dass das Wunderbare durch einen Riss im Realitätsgefüge in unsere Welt tritt, dann spielt Hellbound — Hellraiser 2 im Grunde genommen von Anfang an schon nicht plausibel in unserer Welt, sondern von vornherein – und geradezu klaustrophobisch – in einem künstlichen Setting, einem klar als solchem erkennbaren filmischen Raum.

Daneben begeistert die Manie des Films, der die Vorgabe des entrückten Barker’schen Surrealismus als Raum für eigene Notizen begreift und in vielerlei Hinsicht nach den Sternen greift: Eine entfernte Verwandtschaft tut sich da mit Gary Goddards unterschätztem Masters of the Universe von 1987 auf – zumindest was den Versuch betrifft, eine Art 80s-Best-Of zusammenzustellen. Pinhead etwa erhält eine Indiana-Jones-Backstory und endet aus heiterem Himmel als Darth Vader aus Rückkehr der Jedi-Ritter. Das Escher-artige Höllenszenario erinnert ans Finale des Popfilm-Klassikers Labyrinth – ebenso wie die Vorgabe “junge, verwirrte Frau hetzt auf der Suche nach einem Familienmitglied durch einen Irrgarten”. Zum Schluss durchziehen mit einem Mal Star-Wars-artige Lasergeschosse das Bild.

Dazu gesellt sich – heute darf man das ja sagen, die Jugendschützer und Sittenwächter von einst sind ja längst tot – eine eisern durchgehaltene Disziplin in Sachen Selbstzweckhaftigkeit. Hellbound — Hellraiser 2 findet allerlei vorgeschobene Gründe (und manchmal auch keine), um das alte “Blut und Beuschel”-Spiel auszukosten. Auch darin zeigt sich eine strukturelle Nähe zur Geisterbahn, wo es ja auch darum geht, die einzelnen Attraktionen um ihrer selbst willen aneinanderzureihen.

So verzeiht man denn auch das wirre Storytelling mit manchem aus dem Hut gezogenen bzw. auch mal übergestreiften Karnickel. Zwar hat Hellbound — Hellraiser 2 vor den großen Pforten des Kino-Pantheons, in dem die Klassiker Orgien feiern, auch bis auf weiteres keinen Einlass, aber der Gestaltungswille, seine robuste Obsession, seine unbekümmerte Art, auch mit bescheidenen Mitteln ein Feuerwerk abzufeuern, machen aus diesem Film einen schönen Quasimodo der Genre-Geschichte. Vielleicht nicht gut gealtert, aber auf gutem Weg, die sympathische Patina des Rumpeligen anzusetzen. Schön, dass es diesen Film jetzt auch wieder im Kino gibt.

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